Historiography at the End of Antiquity

Historiography at the End of Antiquity. Concepts, Audiences, and Regionality in the Broader Eastern Mediterranean, 500 – 700

Organisatoren
Jakob Riemenschneider / Roland Steinacher, Universität Innsbruck
PLZ
6020
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
09.06.2023 - 11.06.2023
Von
Jakob Riemenschneider, Institut für Alte Geschichte und Altorientalisik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Ziel der Konferenz „Historiography at the End of Antiquity“ war es, Konzepte und Praktiken der Geschichtsschreibung zu untersuchen, die bewusst in den Zusammenhang der Fragmentierung regionaler Gesellschaften im 6. und 7. Jahrhundert gesetzt wurden. Ausgehend vom Paradigma des unvermeidlichen Endes der „klassischen“ Geschichtsschreibung zu Beginn des 7. Jahrhunderts haben die Teilnehmer:innen über alternative Deutungen diskutiert und Fallbeispiele präsentiert, die andere und differenziertere Interpretationen der Entwicklung erlauben.

Der Auftaktvortrag von BRUNO BLECKMANN (Düsseldorf) über die Konzeptualisierung des eurasischen Türkenreiches in den Fragmenten des Menander Protektor erlaubte gleich zu Beginn, den Blick von der engeren griechischen Überlieferung zu lösen. Menander habe ausführlich Gesandtschaftsberichte zitiert und sein historisches Narrativ an diesen ausgerichtet. Nicht zuletzt deswegen gibt es erstaunliche Überschneidungen unter anderem mit chinesischer Historiographie – auch ostasiatische Herrscher hielten engen Kontakt mit den Türken. Der Hof des Khagans entwickelte sich zu einem diplomatischen Zentrum, das die Logik römisch-persischer Diplomatie konterkarierte und den Spielraum der klassizistischen Geschichtsschreibung erweiterte.

In der ersten Sektion standen sich zwei sehr unterschiedliche Vorträge gegenüber. JAKOB RIEMENSCHNEIDER (Innsbruck) betonte die Notwendigkeit, bei Fragen nach dem Publikum eines Textes die Logik und Methodik der Rezeptionsästhetik einzubeziehen und argumentierte daraufhin gegen die Annahme, dass die klassizistische Historiographie ausschließlich für ein säkulares und traditionell-intellektuelles Milieu interessant war. Christlich aufgeladene und regional determinierte Episoden bei Prokop und bei Agathias lassen darauf schließen, dass das Publikum Synkretismen und Genrebrüchen gegenüber aufgeschlossen war. ALEXANDER STEINER (Innsbruck) hob demgegenüber hervor, dass allein die Existenz ausgebildeter historischer Narrative eine mediterrane Sonderentwicklung war. Vergangenheit wurde in den Traditionen des Zweistromlandes über Jahrtausende hinweg ausschließlich in Listenform dokumentiert; auch wenn diese Listen inhärente Logiken und Narrative beinhalteten. Auch während der Spätantike war der nächste Anknüpfungspunkt an mediterrane Genres die annalistische Chronik. Dies lässt sich auch an einer mandäischen „Chronik“ zeigen, die Apokalyptik mit Königslisten und Annalistik verbindet.

Die zweite Sektion war der Chronistik gewidmet. ROBIN WHELAN (Liverpool) argumentierte dafür, die Chronik/Kirchengeschichte des Pseudo-Zacharias (bzw. dessen Vorlage) als Auseinandersetzung mit der Rolle imperialer Funktionsträger zu lesen. Diese würden im Narrativ sehr nuanciert dargestellt, und als zentrale Akteure kaiserlicher Kirchenpolitik herausgestellt; dies würde darauf hindeuten, dass der Text bis zu einem gewissen Grad an solche Funktionäre gerichtet war, und die Widmung an Eupraxios durchaus als programmatisch verstanden werden könnte. PAULINA KACZMARCZYK (Tübingen/Wrocław) blickte in der Folge auf das achte Buch der Chronik des Johannes Malalas, und sezierte dessen Verformung der hellenistischen Geschichte. Malalas habe offensichtlich zeitgenössische Problemstellungen vor Augen gehabt, als er den geographischen Rahmen der Diadochenreiche beschrieb, und eine sehr interessante Mischung lokaler Perspektivik mit tendenziell globalen Phänomenen hergestellt.

In der dritten Sektion lag der Fokus auf neuen Editionen und Kommentaren. DARIA ELAGINA (Hamburg) hat ihre neue Edition der Chronik des Johannes von Nikiu vorgestellt. Dieser für das siebte Jahrhundert zentrale chronographische Text wurde zwar früh ediert, mit dem Auftauchen einer neuen Handschrift zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand nun aber schon seit langer Zeit der Bedarf für eine Neuedition. Diese wird als digitale Edition neue Möglichkeiten der Konnektivität mit anderen Datenbanken bieten, und außerdem ein größeres Spektrum der Textinterpretation erlauben. FLORIAN BATTISTELLA (Tübingen) erörtere in der Folge die Frage nach den möglichen Entstehungsschritten der Chronik des Johannes Malalas, die er im Zusammenhang mit dem neuen Kommentar zu beantworten sucht. Stilbrüche und textstrukturierende Äußerungen des Autors lassen darauf schließen, dass der Text nicht in einem Stück verfasst wurde, die Brüche ergeben jedoch kein widerspruchsfreies Bild. Umso nötiger sei die Prämisse, dass es sich um einen „lebendigen“ Text handele, der erst im Weiterschreiben und Wiederedieren seine heutige Form erhalten habe. HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) stellte im Anschluss das neue Editionsprojekt der Kirchengeschichte des Johannes von Ephesos vor, das analog zur Edition von Daria Elagina viele Möglichkeiten der Anknüpfung weiterer digitaler Ressourcen bieten wird. Zudem sei das Editionsprojekte in eine ganze Reihe von digitalen Infrastrukturen eingebettet.

Neu prominent werdende, regionale Zentren der Geschichtsschreibung nahm die vierte Sektion in den Blick. FRANK SCHLEICHER (Jena) eröffnete mit einer Analyse der armenischen und georgischen historiographischen Traditionen, die geprägt sind durch Mythologisierungen und epische Überformungen, und für eine detaillierte Rekonstruktion der Faktenlage nur bedingt geeignet sind. Das zeigt sich auch in der Analyse der Handlungsspielräume autonomer Könige und Statthalter, die römische, persische, regionale und dynastische Interessen verhandeln mussten. CHRISTINA DE RENTIIS (Rostock) schloss sich dem an mit einer Interpretation der Chronik von Johannes von Nikiu, deren Kern die Hervorhebung der omnipräsenten Straftheologie im historischen Narrativ war. Statt einer apokalyptischen Deutung hebe Johannes Sünde und Sühne hervor, die den regionalen Umgang mit der vergangenen römischen Herrschaft charakterisiere. ROBIN WHELAN zog in der folgenden Diskussion einen aufschlussreichen Vergleich mit der historischen Deutung bei Gildas, der auf ähnliche Weise römische Herrschaft und Sünden externalisiere, die Identifizierung mit dieser Vergangenheit aber weiter propagiere. MAURITS DE LEEUWS (Alkmaar) Vortrag über die monastische Geschichtsdeutung bei Kyrill von Skythopolis machte deutlich, dass Vergangenheitskonzepte monastischer Autoren selten von traditionellen Konzepten von Geschichte und Geschichtsschreibung getrennt waren – auch wenn Kyrill in dieser Hinsicht besonders hervorsteche, mit konsequenter Jahreszählung und vielen anderen Anleihen.

In der fünften Sektion wurde dieses Thema weitergeführt. MALTE SPEICH (Bielefeld) zeigte eindrücklich, dass Theophylakt Simokates‘ Geschichtswerk eine bewusste Mischung politischer und religiöser Theologie darstellt, die ihn und sein Werk generell charakterisiert. Auch in Theophylakts Episteln und seinem Traktat De vitae termino würden klassizistische und christlich-theologische Register miteinander verwoben. MATEUSZ FAFINSKI (Erfurt) ergänzte diese Überlegungen um Beobachtungen zu Libri pontificales aus Ravenna und Alexandria, die in langer Tradition lokale Geschichte und globale Phänomene diskutierten, ganz analog etwa zu den Überlegungen von PAULINA KACZMARCZYK (Tübingen/Wrocław) und Johannes von Antiochia. Gleichzeitig böten die Libri einen intellektuellen Anker für institutionelle Kontinuität, die die Spätantike als relevanten Referenzrahmen bewahrte.

In der sechsten Sektion wechselte der Fokus hin zu dezidiert theologischen und kirchenpolitischen Konzeptionen von Vergangenheit. LUCY PARKER (Oxford) eröffnete die Sektion mit einem Vortrag über die Vita des älteren heiligen Symeon, die unter anderem geprägt ist durch ihre Rezeption von Johannes Malalas. Statt Kirchenpolitik und Christologie behandele die Vita entsprechend viele säkulare Ereignisse; darüber hinaus gibt es eine sehr aufschlussreiche Parallele zur Kirchengeschichte des Euagrios, der eben auch über die Wunder des Symeon berichtet. ELLEN MUEHLBERGER (Michigan) wies nach, dass die Plerophoriae des Johannes Rufus ein Text sind, der aus miaphysitischer Perspektive eine orthodoxe Vergangenheit dieser kirchenpolitischen Bewegung konstruieren möchte. Rufus habe Handlungsspielräume und Rituale historisieren, das Konzil von Chalkedon als leicht erkennbaren Irrweg kennzeichnen und eine frühe orthodox-miaphysitische Kirche erschaffen wollen. Eine Deutung der Vergangenheit sei auf diese Weise zu einem zentralen Element zeitgenössischer Selbstversicherung geworden. Eine ganz ähnliche Perspektive zeigte GIORGIA NICOSIA (Ghent) auf, allerdings in Verbindung mit Exzerptsammlungen in miaphysitischen Klosterkontexten des siebten Jahrhunderts. Hagiographische und historiographische Textausschnitte seien zusammengeführt worden, um Miaphysiten als wahre, und historische, Kämpfer der einzig wahren Orthodoxie darzustellen. Bis heute dienen diese Handschriften der Selbstvergewisserung der entsprechenden ägyptischen Klostergemeinde.

In der letzten Sektion richtete sich der Blick auf Ereignisse und Entwicklungen als katalytische Momente der Geschichtsschreibung. NIKOLAS HÄCHLER (Zürich) erläuterte zuerst die komplexe Überlieferungslage der Einnahme Jerusalems im Jahr 614, die eine Rekonstruktion der Eroberung und der mit ihr verbundenen politischen und sozialen Risse äußerst schwierig macht. Gleichzeitig erwies sich diese breite Überlieferung als sehr aufschlussreich; armenische, griechische, lateinische und syrische Quellen haben zwar Differenzen, jedoch auch auffallende Gemeinsamkeiten. Die Einnahme konstituiere daher einen traditionsübergreifenden Referenzpunkt. ALEXANDER SARANTIS (Mainz) schloss die Konferenz mit Überlegungen zur Vita des heiligen Demetrios ab, die wiederum stark genreübergreifend sei. Die Stellung Thessalonikis als quasi autonomer römischer Vorposten in einem von Stammeskonföderationen geprägten Balkanraum wird in der Vita ausführlich problematisiert; dies auch in Fortführung römischer Identitätsdiskurse. Hagiographie dieser Art trage effektiv Kennzeichen römischer Regionalgeschichte und Chronistik, wobei sich der römische Grenzraum nun in das griechische Kernland verschoben habe.

Konferenzübersicht:

Keynote:
Bruno Bleckmann (Düsseldorf): Die Türken bei Menander Protektor

1. Sektion: Der richtige Ausgangspunkt? Klassizistische Geschichtsschreibung und der erweiterte östliche Mittelmeerraum
Moderation: Henning Börm (Rostock)

Jakob Riemenschneider (Innsbruck): Finding Audiences for Classicising Historiography in the Sixth Century

Alexander Steiner (Innsbruck): The Spectrum of Mesopotamian Chronography: a Narrative Tradition

2. Sektion: Der andere Leser. Chronistik und ihr Milieu
Moderation: Giulia Zornetta (Padova)

Robin Whelan (Liverpool): For Official Use? Zachariah Rhetor’s Ecclesiastical History as Political Advice

Paulina Kaczmarczyk (Tübingen/Wrocław): Seeking Comfort in the Past. John Malalas about Hellenistic Syria

3. Sektion: Neue Editionen und Kommentare im Fokus
Moderation: Roland Steinacher (Innsbruck)

Daria Elagina (Hamburg): Digital Edition of the Chronicle of John of Nikiu as a Research Tool

Florian Battistella (Tübingen): Der 'Ur-Malalas' und seine Probleme. Gedanken zu Autor und Überlieferung der sog. Weltchronik des Johannes Malalas

Hartmut Leppin (Frankfurt am Main): Das Editionsprojekt der Kirchengeschichte des Johannes von Ephesos

4. Sektion: Fragmentierung und die Etablierung neuer Zentren
Moderation: Silvia Holm (Rostock)

Frank Schleicher (Jena): Politische Handlungsspielräume sāsānidischer Vasallenherrscher. DiePerspektive der südkaukasischenÜberlieferung

Christina De Rentiis (Rostock): Johannes von Nikiu: Eine Weltchronik zur Konstruktion lokaler Identität?

Maurits De Leeuw (Alkmaar): Writing the History of the Holy Land: The Polemics of Historiography in the Hagiography of Palestine

5. Sektion: Neue Grenzen der Genrebetrachung
Moderation: Johannes Wienand (Braunschweig)

Malte Speich (Bielefeld): Die Gretchenfrage der klassizistischen Historiographie – Religion als Argument bei Theophylakt Simokates

Mateusz Fafinski (Erfurt): Institutional History as Local History: Libri pontificales between Alexandria and Italy

6. Sektion: Heilige Geschichte – Heilsgeschichte
Moderation: Reinhard Messner (Innsbruck)

Lucy Parker (Oxford): Crossing genres in the Cult of Symeon Stylites the Younger

Ellen Muehlberger (University of Michigan): Strategies to Seed the Future: Sacred Histories in the Plerophories of John Rufus

Giorgia Nicosia (Ghent): Edifying Stories and Exemplary Histories: New Insights on the Problem of Literary Genres in the Excerpt Collections of Ms. DS 28A

7. Sektion: Der Beginn des siebten Jahrhunderts als historiographisches Problem
Moderation: Robert Rollinger (Innsbruck)

Nikolas Hächler (Zürich): Die Einnahme Jerusalems 614 im Spiegel der griechischen, armenischen und syrischen Geschichtsschreibung

Alexander Sarantis (Mainz): Local Identities in an Era of Imperial Political Collapse: Roman-Barbarian Rhetoric in The Miracles of Saint Demetrius

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